unvermeidlich glücklich

Psychologie-Blog, Psychotherapie Olten
foto: rafael monroy, glück - luck, flickr

Alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher

Bertold Brecht, Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens

 

Die Stadtbibliothek ist für mich immer wieder eine wahre Fundgrube. Ich laufe an Bücher heran, die ich sonst wahrscheinlich nicht antreffen und deshalb gar nicht lesen würde. So auch das neue Buch von Manfred Lütz Wie Sie unvermeidlich glücklich werden. Der Titel packt meine Aufmerksamkeit. Ich will es ausleihen. Aber noch auf dem Weg zur Theke denke ich: „Das meint er doch nicht ernst! Nein, das lese ich nicht, bestimmt spielt er mit der Ironie.“ Und ich fühle mich ertappt, dass ich das Buch überhaupt in die Hand genommen habe. Aber nachdem ich es wieder zurückstelle, berufe ich mich auf meine Rolle als Psychotherapeutin. Ich möchte informiert sein und wissen, was die Menschen so über das Glücklichsein schreiben und denken. Schliesslich möchte auch die Psychotherapie dazu einen Beitrag leisten.

               Bisher war ich immer der Auffassung, dass wir Momente des Glücks und des Glücklichseins erfahren. Immer glücklich zu sein geht irgendwie nicht, oder? Aber warum eigentlich nicht? Ja, es gibt Menschen, die sind immer aufgestellt, glücklich, froh. Es gibt Menschen, die haben ein sogenannt einfaches Temperament, einen sonnigen Charakter. Es gibt nicht viel, das sie aus der Ruhe bringt und sie sind zufrieden, unabhängig davon, was ihnen widerfährt. Wie der Hans im Glück des gleichnamigen Märchens.

Nun weiss man aber auch aus familiengenetischen Studien, dass die Art und Weise, wie wir z.B. auf Stress reagieren, genetisch mitbedingt ist. Ob wir hoch emotional reagieren oder kaum aus der Ruhe zu bringen sind, das können wir nicht gänzlich alleine beeinflussen. Unsere Ausstattung redet da auch ein Wörtchen mit oder macht uns vielleicht ab und an einen Strich durch die Rechnung. Also: Manchen Menschen mag es sicher gut gelingen, „unvermeidlich glücklich“ zu sein. Aber gilt das für alle? Und vor allem ist das überhaupt erstrebenswert?

Ist es nicht so, dass wir in schwierigen Lebenssituationen manchmal sehr tiefe Erfahrungen von Berührtsein machen? Dass wir vielleicht gerade, wenn es uns nicht so gut geht, besonders intensiv wahrnehmen, wie schön der Abendhimmel aussieht oder die Blüten der Lindenbaum-Allee beim Vorbeifahren auf dem Fahrrad riechen? Sind es nicht auch diese Momente, in denen wir ganz im Hier und Jetzt verankert sind, die uns ein tiefes Gefühl vermitteln, das ich nicht missen möchte?

Das heisst, es stellt sich vielleicht die Frage, was glücklich sein für mich überhaupt bedeutet? Was bedeutet glücklich sein für Sie? Stellt sich Ihnen die Frage in Ihrem Alltag überhaupt? Oder was denken Sie dazu?

             Auf den ersten Blick erscheint mir die Frage wie ein Luxus. Die Frage danach, was für mich glücklich sein bedeutet, hat auch etwas damit zu tun, was ich meine, was mir zusteht. Steht es mir denn überhaupt zu, glücklich zu sein? Ein bisschen Glück oder immer währendes „unvermeidliches“ Glücklichsein? Diese Frage würden verschiedene Menschen sehr unterschiedlich beantworten.

             Und wenn ich so darüber schreibe, so denke ich, dass es müssig ist, über das Glücklichsein zu schreiben. Glücklichsein gehört zu den Erfahrungen, die gelebt werden. Glücklichsein kann nicht herbeigeredet, -geschrieben oder –gelesen werden. Glücklichsein kann nur gelebt werden. Jetzt.

                 Ist also Glücklichsein auch eine Entscheidung? Ist es eine Einstellung? Ist das das, was Manfred Lütz mich vielleicht glauben machen will? Demgegenüber wäre ich sehr kritisch. Denn es gibt Erfahrungen, die mit Glücklichsein gar nichts zu tun haben. Und wenn im Nachgang schwieriger Erfahrungen auch Momente des Glücks mit einhergehen, indem mir zum Beispiel ein Freund eine Unterstützung zukommen lässt, die ich so nicht erwartet hätte. Oder mir eine Freundin eine schöne Karte schreibt und mir mein Lieblingsgericht kocht. Dann ist die schwierige Erfahrung immer noch schwierig. Aber ist es vielleicht eine Entscheidung, das Dasein meiner Freunde als Erfahrung des Glücks wahrzunehmen?

            Dennoch ist es für mich wichtig, jemandem auch die Entscheidung zu überlassen, das Schwierige als schwierig stehen zu lassen. Es zuzulassen und auszuhalten, dass es Erfahrungen gibt, denen nichts Gutes abgerungen werden kann und will. Ja, das Leben ist manchmal schwierig und anspruchsvoll, fern von Glück. Und manchmal gibt es nichts in der Welt, das uns zu trösten vermag.

Und ist nicht diese Erfahrung auch ein Reichtum, den wir nicht missen möchten? Erfahrungen, die nichts mit Glücklichsein zu tun haben, die uns aber tief berühren, uns an Erfahrungen reicher machen und uns auch zeigen, wie vielfältig und breit unsere Erfahrungs- und Gefühlswelt sein kann. Es gibt nicht nur den Zustand des Glücklichseins oder denjenigen, diesen herbeizusehnen. Die ganze Lebensfülle bietet uns so viel mehr, das uns zur Erfahrung einlädt.

Sind Sie dabei, einen Tag lang diese ganze Lebensfülle bewusst wahrzunehmen? Momente des sich Sehnens, Momente von Ärger, Momente der Freude, Momente der Einsamkeit, Momente der Lust, Momente von Langeweile, ... Sie können sich nachher immer noch entscheiden, sich unvermeidlich glücklich zu fühlen oder diesen Zustand herbeizuwünschen oder ihn weiter zu pflegen. Gönnen Sie sich einen Tag der bewussten Wahrnehmung der ganzen Lebensfülle und beobachten Sie, wie es Ihnen damit geht.

               All diese Gedanken haben noch gar nichts mit dem Buch von Manfred Lütz zu tun. Es ist lediglich das, was der Titel des Buches bei mir auslöst. Und nun mache ich mich auf zur Lektüre: Wie Sie unvermeidlich glücklich werden. Eine Psychologie des Gelingens.

            Viele Momente des Glücks und der bewussten Erfahrung der ganzen Lebensfülle wünsche ich Ihnen!

 

                               Mit herzlichen Grüssen

                                            Andrea Bütikofer

P.S.: Und falls Sie noch mehr über Glück lesen möchten, so kann ich Ihnen folgende Lektüre sehr empfehlen:

 $ Watzlawick, P. (2009). Anleitung zum Unglücklichsein. München: Piper.

$ Harris, R. (2009). Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei. München: Kösel-Verlag.

$ Fremuth, M.L., Kulessa, M. & Weiler, T. (Hrsg.) (2010). Glückseligkeit des Drachens – die Philosophie des Glücks in Bhutan und anderswo. Schriftenreihe der DGVN NWR e. V., Band 2. Köln: Universität Köln – CITS. pdf zum Herunterladen

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